Wie es mir geht? Komisch…
Folgende Situation.
Montag Abend. Ich liege auf der Couch. Mein Mann telefoniert mit seiner Mutter, die in unserer alten Heimat wohnt. Gegen Ende des Telefonats werde ich nach dem Vornamen meines Vaters und dem Geburtstag gefragt…mir dämmerts ziemlich schnell…Todesanzeige. Warum in Frankenberg? Da wohnt er doch schon viele Jahre nicht mehr. Ich höre tief in mich rein. Keine Trauer….keine Träne. Ich suche die Anzeige im Internet. Ah, vor 12 Tagen schon ist er gestorben. Nett, dass die liebe Stiefmama mich informiert… ist es mir wichtig? Eigentlich nicht. Ok. Die vielen freien Nachmittag und Wochenende die ich in seiner Firma gearbeitet habe, weil er das alles nur für mich macht, schießen mir durch den Kopf. Für mich? Was genau? Was genau habe ich von der Firma? Ok. Meine fucking Anfangsbuchstaben stehen am Anfang des Firmennamen. Sianka…Simone, Angela und Karin. Damals. Ganz am Anfang war ich vielleicht noch ein bisschen wichtig. In Lichtgeschwindigkeit wurden wir Kinder zum Klotz am Bein. Nach dem Tod meines Bruders, wo mein Vater nur im Kopf hatte, eine Golduhr, die er meinem Bruder Mal geschenkt hatte, wieder zu bekommen, war unser Verhältnis entgültige eingefroren. Die Geburt meiner Tochter nahm ich als Anlass, ihm Fotos von ihr zu schicken. Ich hätte ihm niemals den Kontakt untersagt. Keine Reaktion. Letzter Kontakt war vor etwa 12-14 Jahren. Meine Mutter – immer noch in der Heimat lebend, rief an, sie hätte gehört, dass mein Papa Tod ist. Ob ich was wüsste? Kurzerhand habe ich das Telefon in die Hand genommen und ihn angerufen. Das Örtliche war damals noch Programm. Er nahm ab
Ich legte schnell auf. Ok, er ist nicht Tod. Auf die Frage von meinem Mann, warum ich nicht mit ihm spreche, habe ich erneut die Nummer gewählt. Hallo Papa, ich bin’s…..schweigen. Simone? Was willst du denn? Ich wollte wissen, ob du Tod bist? Ich hab ihm von dem Gerücht, welches in der alten Heimat rumgeht, erzählt. Ich hab all meinen Mut zusammen genommen und ihn gefragt, ob er seine Enkeltochter nicht kennenlernen möchte und ob er regelmäßig die Bilder bekommen hat. Er hat die Bilder bekommen. Er kennt seine Enkelkinder. Die Fragezeichen in meinem Kopf müssen durch den Telefonhörer gekrochen sein. Seine Enkelkinder? Ich bin deine einzige Tochter. Ich habe nur ein Kind. Von wem sprichst du? Ah. Die Tochter seiner neuen Frau hat zwei Kinder. Das sind nicht deine Enkelkinder, erwidere ich. Schweigen. Kein Kloß mehr im Hals wie früher, wenn mein Papa mich erniedrigt hat… ich bin bereit. Bereit, ihm Rede und Antworte zu stehen. Er räuspert sich verlegen. Eine lange Pause. Mir nicht unangenehm… Ich höre mich sagen, daß wir einen Neuanfang starten können..die Vergangenheit vergessen…jeder hat mittlerweile seine eigene Wahrheit. Einmal „Reset“ drücken und von vorne anfangen. Schweigen. Er wartet noch auf eine Entschuldigung von mir ??? What. Ich? Wofür? Ich Frage ganz direkt..wofur soll ich mich entschuldigen? Schweigen. Wenn ich das nicht wüsste…Dafür, dass er sich hat scheiden lassen? Dafür, das er mich mit 17 zum x- ten mal Zuhause rausgeschmissen hat? Dafür, dass er wollte, dass ich ihm wegen Unterhalt verklage, damit es gerecht ist. Kleine Zwischeninfo, ich bin als Schülerin auf den Gerichtskosten sitzen geblieben. Dafür, dass ich nach dem Tod meines Bruders die Wohnungsauflösung in Berlin und alles was da noch dran hinh sowie die Beerdigung mit 24 Jahren allein organisieren mußte. Wofür fuck, soll ich mich entschuldigen?
Jetzt würde er erstmal in den Urlaub fahren. Er meldet sich bis spätestens Februar. Ok. Vier Monate ist völlig ok. Ich warte bis April. Danach schicke ich einen jahrelang geschrieben Brief an ihn ab. Ergänzt mit der Frage, wofür ich mich entschuldigen soll. Das war der letzte Kontakt…
Jetzt ist er Tod. Trauer? Nein. Wir? Nein. Meine Gedanken sind selbstverständlich bei ihm. Noch ein letztes Mal. Ja, ich werde einen Anwalt einschalten. Die vielen Jahre, die ich ohne Bezahlung in der Firma gearbeitet habe.
Nein..es ist der Wille, dass seiner neuen Frau und deren Kinder eben nicht alles zusteht. Es sind die Sprüche von ihm….ich habe das alles nur für dich gemacht… bei. Papa. Du hast alles nur für dich gemacht. Du hast ein so großes Geltungsbedürfnjs gehabt, dass ist unfassbar. Du warst dir immer selbst am nächsten. Das sind die letzten Worte, die ich an und über dich verliere. Ich hasse dich nicht. Ich empfinde gar nichts.
Das Buch „Papa“ wird nun für immer, Kapitel für Kapitel geschlossen.
Lebt euer Leben
Eure Mona-chie
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Elke Beckhaus (Dienstag, 04 Juli 2023 21:42)
Eigentlich empfinde ich im Augenblick nur Fassungslosigkeit über so gar keine Empathie für die leiblichen Kinder. Ich weiß das gibt es, obwohl ich es nie verstehen werde!
Aber ich kann dir aus gegebenen Anlass doch nachempfinden, aber das ist mein Thema!
Ich meine du hast bestimmt alles für dich richtig gemacht und hast dir nichts vorzuwerfen!
Und einen Anwalt würde ich auch konsultieren.
Sandra (Dienstag, 04 Juli 2023 23:03)
... dass er nicht die Kurve gekriegt hat, tut mir unendlich leid für Dich, Simone! Du hast so etwas nicht verdient... umso wichtiger ist es, eine eigene liebevolle Familie zu haben, wo man sich alles sagen kann, jeder für den anderen einsteht, man sich aufeinander verlassen kann! Du bist eine wunderbare Ehefrau und Mutter! Und warst Deinem Bruder eine herzensgute Schwester. Und für mich bist Du eine liebe Freundin, die für alle, die Ihr nahestehen wie eine Löwin kämpft und einsteht. Schön, dass es Dich gibt! Wer Deinen Wert nicht kennt, hat Deine Gesellschaft nicht verdient. Fühl Dich lieb gedrückt ♡
Andrea (Mittwoch, 05 Juli 2023 14:49)
Meine Gedanken zu deinem Post sind zwiegespalten.
Aber als erstes, ich kann dich und deine Gefühle und Gedanken absolut nachvollziehen.
Damit hat mein Nachdenken nichts zu tun.
Eher mit der Situation zwischen Mandy und seinem Vater und somit auch mir.
Vielleicht hattest du sogar Glück, dass dein Vater den Kontakt nicht auferhalten hat. Jahrelang war zwischen Mandy und seinem Vater auch absolute Funkstille. Nur als Mandy den Laden in Schreufa eröffnete, war er plötzlich wieder da. Das Ganze hat ja nicht funktioniert, schwubs, war er wieder verschwunden.
Dann kam die Krebserkrankung von Doris und ihr Tod. Nichts. Keine Karte an seine Kinder.
Zwei Jahre später suchte er plötzlich Kontakt zu Mandy und seiner Schwester.
Den wir alle sehr distanziert halten.
Nun ist seine Frau sehr krank und er selbst mit 83 mit der Situation überfordert.
Er fängt nun an zu jammern, keiner würde ihm helfen, den Garten machen, mal putzen etc.
Gabi musste ihn auch wegen Unterhalt verklagen. Er hat niemals geholfen.
Wir sehen nicht ein, ihn zu unterstützen.
Auch er kennt nur sich selbst.
Ist inzwischen Urgroßvater, aber das kann ja überhaupt nicht sein. So alt wäre er ja noch nicht.
Bilder von den Urenkeln interessieren ihn überhaupt nicht.
Da komme ich zum nächsten Punkt, der mich nachdenklich gemacht hat.
Du hast geschrieben, dein Vater hätte nur die eine leibliche Enkelin, die anderen wären keine.
Mandy und Jana wären zu Tode betrübt, wäre das so.
Jana sagt meist Papa zu Mandy, er hat sie adoptiert und sie hat trotz Heirat den Namen behalten, ihr Mann hat unseren angenommen.
Mavie ist definitiv Mandys Enkelin. Straht ihn an und kräht mein Opa ♥️
Da bin ich einfach der Meinung, Blutlinie ist nicht wichtig.
Jetzt springe ich gedanklich.
Ich hatte selbst auch ganz lange ein sehr, sehr schlechtes Verhältnis zu meinem Vater. Als ich schwanger war, stellte er mich vor die Entscheidung, das Kind oder er und die Familie. Ich hab mich ohne nachzudenken für Jana entschieden, was ich nicht eine Sekunde bereut habe. Aber ich hatte deshalb drei Jahre keinen Kontakt.
Musste die schweren Zeiten allein durchstehen.
Viele viele Stunden Therapie haben mich dazu gebracht, trotzdem zu verzeihen und das Vergangene abzuhaken.
Aber auch mein Vater ist mit zunehmendem Alter anders geworden. Altersmilde vielleicht.
Wir haben uns angenähert. Er erkennt mich und mein Leben an.
Es ist nicht immer einfach, aber wir kommen miteinander klar und ich glaube inzwischen, ich kann sagen, ich liebe ihn.